Dienstag, 27. September 2011
Wie angehende Banker lernen sollen ethisch verantwortungsvoll zu handeln
Spiegel-Online schreibt über (angehende) Banker, die angesichts der jüngsten Finanzkrisen und eines schlechten Image des gesamten Bankensektors nun in Wirtschaftsethik und nachhaltigem Handeln unterrichtet werden sollen.


Ziel soll wohl sein, dass die zukünftigen Banker moralisch verantwortungsvoll handeln und nicht nur darauf hinarbeiten möglichst viele Profite einzufahren auf Kosten anderer – nämlich ihrer Kunden und letztlich der Allgemeinheit. Das klingt ja alles ganz schön und gut, doch irgendwie hat das alles doch einige Haken.

Arschloch sein ist menschlich

Fangen wir mal damit an, dass es doch eigentlich selbstverständlich sein sollte (möglichst) immer ethisch korrekt und verantwortungsvoll zu handeln und die anderen Leute nicht über den Tisch zu ziehen. Die Banker und Aktienhändler, denen jetzt zu Recht Habgier auf Kosten anderer vorgeworfen wird, sind doch keine gefühlslosen Roboter, denen keine Art von ethischen Grundsätzen beigebracht wurde. Allerdings ist egoistisch und moralisch verwerfliches Handeln nicht nur auf Banker, Politiker und sonstige vermeintliche „Eliten“ beschränkt, sie sind nur die Spitze des Eisberges. Das ganze fängt schon viel weiter „unten“ an, wenn man an der Kasse im Geschäft merkt, dass man zu viel Wechselgeld bekommen hat und dies aber mal einsteckt. Ausbaden muss das evtl. die Kassiererin, die den Fehler nicht bemerkt oder der kleine Einzelhändler, der sowieso schon ums wirtschaftliche Überleben kämpft. Man muss sich auch die Frage stellen, ob man nicht selbst zu einem profigeilen Egoisten wird, wenn man erst einmal in der Position dazu ist. Ich selbst versuche mich immer in die Situation von solchen Bankern etc. hineinzuversetzen. Ich bin zuversichtlich, dass ich nicht so ein profitgeiles Arschloch wäre, aber 100%ig garantieren könnte ich es auch nicht. Wer weiß schon genau, was mit einem Menschen passiert, wenn er erst einmal so viel Macht und Geld hat? Geld und Macht können wohl auch blind machen. Wie moralische eigentlich selbstverständliche Werte über Bord geworfen werden können, kann man auch aus der Geschichte erfahren (Stichwort: Holocaust). Ein weiteres Beispiel dafür, was Macht bzw. bestimmte Möglichkeiten, über die man verfügt, mit einem Menschen anstellen können, zeigt auch das Stanford-Prison-Experiment.
Eine Studie der Universität St. Gallen, in der Egoismus und Kooperationsbereitschaft von Aktienhändlern untersucht und mit den Ergebnissen von Psychopathen verglichen wurde, kam zu dem Ergebnis, dass die Aktienhändler „noch egoistischer und risikobereiter als eine Gruppe von Psychopathen“ vorgingen.
Ich bin der Meinung, dass in jedem Menschen, nicht nur ein potentieller Mörder und Sadist, sondern auch ein potentieller Egoist und Ausbeuter steckt. Aktiviert werden diese inneren, negativen Eigenschaften, wenn man in bestimmte berufliche und soziale Positionen gelangt, sei es nun als KZ- oder Gefängnis-Aufseher oder Investmentbanker. Alle sagen zwar: „Ach, das würde ich niemals tun, aber wenn sie einmal in den Schuhen derer stecken, denen sie Vorwürfe machen, handeln sie selbst nicht anders.“. Mir scheint, dass das Innehaben bestimmter (hierarchischer) Machtpositionen das Tier in den Menschen weckt. Gelegenheit macht nicht nur Diebe, sondern auch Arschlöcher und Verbrecher.

Vertrauen ist gut, Transparenz ist besser

Klar gibt es immer positive Ausnahmen, die durch persönliche Erfahrungen, Erziehung und familiären Hintergrund gelernt haben, keine egoistischen Arschlöcher zu sein und ihre negativen Triebe unter Kontrolle halten, selbst wenn sie in der Position sind, die sie normalerweise das Handeln bestimmen lässt. Bei den „Beispiel-Bankern“, die in dem Spiegel-Online Artikel aufgeführt wurden, würde mich mal interessieren, wie viele von denen vor Beginn des Studiums bzw. der Ausbildung im Bankensektor mal andere Erfahrungen, zum Beispiel im Wehr- und Zivildienst oder bei richtiger Drecksarbeit gemacht haben. Ich bin nämlich der Meinung, dass sowohl Wehr- und Zivildienst, als auch eine „schöne“ Drecksarbeit zum Beispiel als Leiharbeiter, einem den Blick und den Horizont erweitern. Durch persönliche Erfahrung bzw. Bekanntschaften, wie auch anhand des Spiegel-Artikels, habe ich das Gefühl, dass vielen angehenden „Führungskräften“ (nicht nur in der Wirtschaft) diese Erfahrungen fehlen. Verschlimmert wird das Ganze auch noch durch den Wegfall des Wehr- und Zivildienstes, was meiner Meinung nach zu mangelnder sozialer Kompetenz führen wird.
Wenn jetzt irgendwelche Bosse sich als normale Arbeiter getarnt in ihre eigenen Unternehmen schmuggeln und das normale Arbeitsleben kennenlernen, ist es vielleicht schon zu spät. Solche prägnanten Erfahrungen, wie die oben geschilderten, sollte man in jungen Jahren machen.
Da die wenigsten Menschen über eine entsprechende Charakterstärke verfügen, um all die geschilderten, negativen Eigenschaften effektiv zu unterdrücken, wenn sie eine Position erreicht haben, in der diese Triebe Überhand nehmen wollen, kann nur eine Kontrolle durch den Rest der Gesellschaft helfen. Die Gemeinschaft als Ganzes, muss sich gegenseitig kontrollieren. Die Machenschaften der Politiker, Unternehmer und Banker müssen durch den Rest der Gesellschaft kontrolliert werden und bei Bedarf muss eingegriffen werden. Ein jeder muss aufpassen, dass bei seinem Nächsten nicht die Sicherungen durchbrennen und er oder sie ein gewissenloser Scheißhaufen seiner negativen Eigenschaften/Triebe wird. Damit möchte ich keinen Überwachungsstaat und auch keine Überwachungsgesellschaft, sondern echte Transparenz. Wenn wir diese echte Transparenz hätten, dann wäre es bezüglich der Finanz- und Wirtschaftskrise erst gar nicht so weit gekommen. Die Banker haben Ressourcen verspielt, weil sie es konnten. Niemand hat ihr Treiben kontrolliert, weil es quasi intransparent stattfand. Man kann ihnen weiterhin vertrauen und auf ihre Besinnung hoffen, aber das wird nichts bringen.
Ein radikales Umdenken muss allerdings weltweit einsetzen, denn unsere aktuelle Situation würde ich wie folgt schildern: Die Bekämpfung der Finanz- und Wirtschaftskrise ist, als ob man ein Haus renovieren möchte, dass an einem Steilhang steht, der immer weiter abbröckelt. Wir leben über unsere Verhältnisse und dies auf Kosten anderer Menschen.

Mit Schulden in den Beruf

Im Spiegel-Artikel über die angehenden Banker wird auch angesprochen, dass viele dieser BWL-Studenten, die an teuren Privat-Unis studieren, hohe Semesterbeiträge bezahlen müssen und diese später offenbar auch wieder eintreiben müssen. Man produziert also möglicherweise verschuldete Banker. Da liegt es doch eigentlich ganz nahe, dass der ein oder andere (oder auch die meisten) dazu verleitet wird mal ein Geschäft abzuschließen, das ihm oder ihr einen hohen Gewinn einbringt, aber dafür ethisch fragwürdig ist. Diese Sache spricht auch dafür, dass Bildung und Studium kostenfrei bzw. für alle möglich sein sollten. „Elite“-Universitäten braucht niemand und sie produzieren außerdem auch nicht die erhoffte „Elite“, sondern sie tragen nur zur Vergrößerung der sozialen Ungerechtigkeit bei, indem sie „Führungskräfte“ mit oftmals schwach ausgeprägter Charakterstärke heranzüchten, eben zukünftige Opfer ihrer negativen Eigenschaften/Triebe. „Elite“ wird man nicht durch irgendeine besondere Schule oder Hochschule, „Elite“ wird man auch nicht durch viel Geld oder adlige Vorfahren. „Elite“ ist vielleicht ein Begriff für das Militär, aber für sonst nichts!

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