Mittwoch, 9. Mai 2012
Was „Lean“ für Arbeitnehmer bedeutet
wasistlos, 17:38h
Das englische Wort „Lean“ (schlank) bezeichnet eine Unternehmensphilosophie, die sich auch in deutschen Konzernen zunehmender Beliebtheit erfreut. Kurz und knapp gesagt, bedeutet die Lean-Philosophie, dass (Arbeits)prozesse effizienter gestaltet werden und Verschwendung (in Form von Zeit, Laufwegen, etc.) zu beseitigen. Welche Folgen, dass für die betroffenen Arbeitnehmer haben kann, ist auf dem ersten Blick nicht eindeutig sichtbar und soll im Folgenden näher erläutert werden. Der hier gegebene Überblick ist lediglich der Abriss eines umfangreichen Themas und soll in erster Linie als Orientierung dienen. Falls dies jemand lesen sollte, der von der Einführung der Lean-Philosophie als Mitarbeiter betroffen ist, empfehle ich, diesen Text unbedingt vollständig zu lesen und ggf. weitere Literatur zu Rate zu ziehen.
Japanische Effizienz als Vorbild
Die Lean-Philosophie geht zurück auf das Toyota-Produktionssystem, einem schlanken Produktionssystem und weltweitem Maßstab für effiziente und kostensparende Produktion. Lean wird in vielen Branchen angewandt und wird unter den Bezeichnungen Lean manufacturing, Lean Management, Lean-Philosophie, Lean-Kultur oder einfach nur Lean geführt, immer mit dem Ziel Verschwendung zu beseitigen, Kosten zu senken und Effizienz zu steigern.. Eine Vielzahl von Büchern und Unternehmensberatungen beschäftigen sich nur mit dem Thema Lean.
Lean im Überblick
Die Lean-Philosophie wird unterschieldich interpretiert und umgesetzt, in der Regel geht man aber davon aus, dass Lean von den Mitarbeitern nicht nur als kurzfristiges Projekt verstanden werden, sondern einen Kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) in Gang setzt, der theoretisch nicht enden soll. Im Rahmen eines Transformationsprozesses (transformieren=umformen, umwandeln), das Lean als Kultur im Unternehmen etablieren soll, werden drei verschiedene „Arbeitsfelder“ angegangen:
- Technisches System: Werkzeug, Layout der Produktions-/Lagerfläche, Laufwege, Arbeitsmittel, Maschinen, usw.
- Management Infrastruktur: Teamgrößen; Organissationsstruktur; Kontakt, Feedback zwischen Führungskräften und Mitarbeitern ( Einrichtung eines Leistungsdialogs oder Teamdialogs); usw.
- Einstellungen und Fähigkeiten: Motivation und individuelle Fähigkeiten der Mitarbeiter, Management von Mitarbeitervorschlägen und –ideen (Einrichtung eines Ideenbretts), Verhalten der Mitarbeiter, psychologische Aspekte im Verhältnis der Mitarbeiter und Führungskräfte untereinander (Betriebsklima)
Ein typisches Transformationsprojekt zur Einführung der Lean-Philosophie in einem Unternehmen oder einem bestimmten Teil des Unternehmens, gliedert sich in mehrere Phasen. Oftmals hat das Unternehmen externe Lean-Berater (Lean consultants) engagiert, die zusammen mit einem ausgewählten Projektteam aus Mitarbeitern und Führungskräften die einzelnen Phasen in einem vorher bestimmten Zeitraum (z. B. 4 Monate) durcharbeitet und dafür einen nicht unwesentlichen Teil der Arbeitszeit einsetzt. Während des Transformationsprojektes und nach Abschluss der letzten Phase, sollen die Mitglieder des Projektteams Lean-Wissen verinnerlichen/verinnerlicht haben und an ihre Kollegen im Betrieb weitergeben. Für die erfolgreiche Einführung der Lean-Philosophie sind Nachhaltigkeit der während der Projektphase getroffenen Maßnahmen sowie die Akzeptanz dieser Maßnahmen durch den größten Teil der Mitarbeiter essentiell. Es soll der Anschein erweckt werden, dass die Lean-Philosophie von unten, d. h. von den einfachen Mitarbeitern gewollt und eingeführt wird. Wenn die Mitarbeiter den Eindruck haben, dass Lean wieder einmal nur ein Projekt von oben, vom Management ist, wird es sich nicht nachhaltig im Unternehmen verankern können.
Die verschiedenen Phasen eines Transformationsprojekt gliedern sich meist wie folgt:
1. Phase – Vorbereitungsphase
In dieser Phase wird die Einführung von Lean und die einzelnen Schritte geplant und vorbereitet. Zielvorstellungen werden festgelegt, das Projektteam zusammengestellt.
2. Phase – Diagnosephase
Nun wird mit Hilfe verschiedener betriebswissenschaftlicher und ingenieurwissenschaftlicher Diagnosemethoden Prozesse, Arbeitsabläufe und Zustände analysiert. Dabei sollen Schwächen, Probleme, also Ineffizienzen aufgedeckt und in Zahlen und Diagrammen festgehalten werden. Gleichzetig sollen Möglichkeiten und Lösungsansatze offenbar werden. Entsprechende Methoden und Werkzeuge sind zum Beispiel: Ursache-Wirkungs-Diagramm, Prozessanalyse, 5xWarum-Methode, Paretodiagramm, Schichtbeobachtung, Interviews (von Mitarbeitern), Spaghetti Analyse, Mitarbeiterumfrage, Ermittlung des ECI (Employee Commitment Index = Index der Mitarbeiter Motivation), 5S-Audit usw.
3. Phase – Gestaltungsphase
In dieser Phase werden mögliche Lösungsansätze und Maßnahmen zur Beseitigung der in der Diagnosephase entdeckten Probleme und Schwächen durch das Projektteam erarbeitet. Dabei präsentieren die Lean-Berater mögliche Wekzeuge und Methoden zur Lösung der entdeckten Probleme.
4. Phase – Planungsphase
Die Umsetzung der erarbeiteten Maßnahmen wird geplant, die dafür verantwortlichen Mitarbeiter werden ausgewählt.
5. Phase – Umsetzungsphase
Die erarbeiteten Maßnahmen aus der Gestaltungsphase, werden nun kontrolliert unter Einbeziehung der Mitarbeiter und wie zuvor geplant, umgesetzt.
6. Phase – Stabilisierungsphase
Die nun umgesetzten Maßnahmen sollen dauerhaft (nachhaltig) im Unternehmen verankert werden. Dazu müssen alle Projektteilnehmer und ein Großteil der Mitarbeiter von diesen Maßnahmen überzeugt sein. Die Lean-Berater zeigen den Mitgliedern des Projektteams und ggf. neu ins Team gekommene Mitarbeitern Wege und Methoden, die erarbeiteten Maßnahmen und „Errungenschaften“ im Rahmen der kontinuierlichen Verbesserung nachhaltig zu sichern. Da dies die letzte Phase ist, haben die Lean-Berater ihre Aufgabe erledigt und erscheinen in der Regel zukünftig, um die Nachhaltigkeit ihres Transformationsprojekts zu überprüfen.
(Positives) Beispiel einer Lean-Maßnahme
In einem Betrieb X hat das Projektteam zur Einführung von Lean in der Diagnosephase mit Hilfe einer Mitarbeiterbefragung u. a. festgestellt, dass sich viele Mitarbeiter wünschen würden, eigene Verbesserungsvorschläge im Betrieb einfach und schnell vorschlagen zu können. Bisher gab es keine oder nur unzureichende Möglichkeiten, Verbesserungsideen im Unternehmen einzubringen.
In der Gestaltungsphase entwickelt das Projektteam unter Aufsicht der Lean-Berater nun ein Konzept, um das Einbringen von Verbesserungsvorschlägen einfach und effizient zu gestalten. Man beschließt, ein Ideenbrett zu erstellen, das zentral aufgehängt werden soll und an dem jeder Mitarbeiter seinen Verbesserungsvorschlag anbringen kann. Damit eingebrachte Ideen nicht im Sande verlaufen, wird eine Person gewählt, die persönlich dafür zuständig ist, Verbesserungsvorschläge nach Nutzen und Aufwand zu bewerten, ggf. eine Umsetzung der Ideen unter Einbindung des Ideengebers voranzutreiben oder Vorschläge unter Angabe von Gründen abzulehnen.
In der Umsetzungsphase wird dieses Ideenbrett im Unternehmen nun Realität und gute Vorschläge werden auch zeitnah umgesetzt. Die Mitarbeiter fühlen sich ernstgenommen und ihre innere Bindung an das Unternehmen steigt.
In der Stabilisierungsphase wird sichergestellt, dass der oder die Verantwortlichen für dieses Ideenbrett weiter am Ball bleiben und beispielsweise bei Ausscheiden aus dem Betrieb, ein geeigneter Nachfolger gefunden wird.
Zwei Seiten einer Medaille
Die Lean-Philosophie kann durchaus eine Reihe von Verbesserungen in das Unternehmen bringen, sofern diese richtig und konsequent umgesetzt wurden. Zahlreiche Maßnahmen beschleunigen Arbeitsabläufe, verringern von Laufwegen und Wartezeiten, erleichtern die Tätigkeit eines Mitarbeiters und verbessern das Verhältnis zwischen Mitarbeitern und Führungskräften. Auch erscheinen viele Maßnahmen der Effizienzsteigerung logisch und nachvollziehbar. Typische erste Reaktionen und Meinungen sind, dass Lean ja eigentlich nur die Befolgung des „gesunden Menschenverstands“ sei. Wenn jemand in ein Geschäft will, läuft er schließlich auch direkt durch die Tür hinein und läuft nicht erst einmal um das Gebäude, um dann hineinzugehen.
Zweifelsfrei hat eine richtig eingeführte Lean-Philosophie durchaus sinnvolle, unmittelbare Folgen für alle Beteiligten. Effizienteres, verschwendungsfreies Arbeiten erscheint auch vielen Mitarbeitern zunächst als gut und angenehm, unnötige Wartezeiten und Laufwege fallen beispielsweise weg, man hat das Gefühl weniger „schwachsinnige Tätigkeiten“ zu machen. Das Management freut sich ohnehin, denn eine Effizienzsteigerung bedeutet auch, dass mit der gleichen Zahl an Arbeitern noch mehr geleistet werden kann, was wiederum Profitsteigerung bzw. Kostensenkung bedeutet.
Und genau da liegt der Hund begraben und genaus das wird man auch nie aus dem Munde eines Managers oder Lean-Beraters erfahren: Eine Effizienzsteigerung (durch Lean) bedeutet auch, dass mit weniger Personal die gleiche Arbeit verrichtet werden kann. Im Laufe eines Transformationsprojektes, kann durchaus festgestellt werden, dass der ein oder andere Arbeitsplatz und damit der Mitarbeiter überflüssig sind, da ihre Aufgaben bei effizienter Steuerung auch von anderen Kollegen übernommen werden kann. Da Personalkosten in Deutschland für den Arbeitgeber die höchsten Ausgaben darstellen und viele Arbeitgeber ihre eigenen Mitarbeiter nur als Kostenfaktor sehen, stehen die durch Lean enttarnten unnötigen Arbeitsplätze nun auf der Abschussliste. Die Mitarbeiter, die diese Arbeitsplätze besetzen, werden nun nach Möglichkeit für andere Aufgaben umgeschult, bei älteren Mitarbeitern, die in Altersteilzeit gehen oder ohnehin bald ganz in Rente gehen, werden diese nicht neu besetzt. Wenn keine der beiden zuvor genannten Maßnahmen auf den Mitarbeiter eines überflüssigen Arbeitsplatzes angewandt werden können, wird das Management – nach streng betriebswirtschaftlicher Norm – andere Wege finden, um die Stelle samt Mitarbeiter loszuwerden. In wirtschaftlich schlechten Jahren, von denen in großen Unternehmen übrigens selten die Aktionäre, sondern vorwiegend die Mitarbeiter betroffen sind, werden „betriebsbedingte Kündigungen“ ausgesprochen. Daraus kann man auch schließen, dass bei Vorhandensein eines Grundes für „betriebsbedingte Kündigungen“ durch die Effizienzsteigerun mit Lean mehr Personal entlassen werden kann, als ohne Lean. Auch zu wirtschaftlich guten Zeiten, können solche überflüssigen Arbeitsplätze beseitigt werden, zum Beispiel dann, wenn das Unternehmen einen Neubau plant. Dann wird gerade im produzierenden Gewerbe ohnehin viel mehr automatisiert und der Neubau wird so geplant, dass für die als überflüssig deklarierten Arbeitsplätze kein Platz da sein wird und somit auch „betriebsbedingt“ gekündigt werden kann.
Es findet in jedem Fall eine Veringerung von Arbeitsplätzen statt. In der Sprache der Lean-Berater und des Managements heißt das heutzutage natürlich nicht mehr Stellenabbau, sondern Einsparung von „Berufsjahren“, abgekürzt „Bj“.
Nichts als Arbeit
Dies ist die unangenehme Folge der Lean-Philosophie, die den Mitarbeitern natürlich vorenthalten wird. Meistens merken sie es auch nicht, denn Lean-Berater und Management wickeln die Mitarbeiter mit der Masche um den Finger, dass sie (die Mitarbeiter) alle Maßnahmen selbst in der Hand haben und sie den Eindruck bekommen, dass das Ganze ihr Schaffen und ihr Werk ist. Ein netter psychologischer Trick, der verschleiert, dass Lean natürlich vom Management mit dem Wissen um all seine negativen Folgen für den Bestand der Arbeitsplätze eingeführt wird. Die Mitarbeiter sollen denken, Lean käme von ihnen, „von unten“, merken aber nicht, dass sie ihr eigenes Grab schaufeln bzw. das Grab eines Kollegen. Wenn es doch jemand bemerken sollte, wird ihm in diesem Hamsterrad schnell bewusst (gemacht), dass die Option zu Lean aus Sicht des Managements eine Verlagerung der Arbeitsplätze in Billiglohnländer ist.
Diejenigen, deren Arbeitsplätze als nicht überflüssig befunden wurden, sehen sich in einem „geleantem“ Unternehmen einerseits den bereits genannten aber auch nur vermeintlichen Verbesserungen gegenüber und andererseits möglichen unangenehmen psychologischen Langzeitfolgen dieser „Verbesserungen“. Zu Spitzenzeiten wird manch einer die unbeabsichtigten Verschnaufpausen in Form der unnötigen und durch Lean beseitigten Wartezeiten sicher vermissen. Auch sollte man sich fragen, wie gesund (in geistiger und körperlicher Hinsicht) eine aus Profitgründen auf Effizienz und Leistung getrimmte Mitarbeiterschaft ist. Ein Mensch braucht Arbeit zum Leben, aber auch Ruhe und Muße zum Leben.
Letztlich ist die Lean-Philosophie ein Auswuchs des betriebswirtschaftlichen Wahnsinns unserer Zeit, immer mehr, immer günstiger und ohne Gedanken an mögliche Wachstumsgrenzen zu produzieren und zu leisten. Dieser Wahn nimmt keine Rücksicht auf lebendige Wesen, denn in Form von Arbeitskraft sind sie ohnehin nur ein Kostenfaktor, den es beständig zu verkleinern und bis aufs Äußerste auszupressen gilt. Den Menschen auf 100%ige Effizienz zu steigern, gleich einer Maschine, die am besten nur noch lebt, um zu arbeiten, ist das versteckte Ziel von Lean und eines auf Effizienz und Leistung getrimmten Systems. Lean ist ein Kind unserer Zeit und eines gesellschaftlichen Systems, das es geschickter als je zuvor versteht, den Menschen zum Sklaven nicht nur der Arbeit, sondern letzlich seiner selbst zu machen.
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Japanische Effizienz als Vorbild
Die Lean-Philosophie geht zurück auf das Toyota-Produktionssystem, einem schlanken Produktionssystem und weltweitem Maßstab für effiziente und kostensparende Produktion. Lean wird in vielen Branchen angewandt und wird unter den Bezeichnungen Lean manufacturing, Lean Management, Lean-Philosophie, Lean-Kultur oder einfach nur Lean geführt, immer mit dem Ziel Verschwendung zu beseitigen, Kosten zu senken und Effizienz zu steigern.. Eine Vielzahl von Büchern und Unternehmensberatungen beschäftigen sich nur mit dem Thema Lean.
Lean im Überblick
Die Lean-Philosophie wird unterschieldich interpretiert und umgesetzt, in der Regel geht man aber davon aus, dass Lean von den Mitarbeitern nicht nur als kurzfristiges Projekt verstanden werden, sondern einen Kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) in Gang setzt, der theoretisch nicht enden soll. Im Rahmen eines Transformationsprozesses (transformieren=umformen, umwandeln), das Lean als Kultur im Unternehmen etablieren soll, werden drei verschiedene „Arbeitsfelder“ angegangen:
- Technisches System: Werkzeug, Layout der Produktions-/Lagerfläche, Laufwege, Arbeitsmittel, Maschinen, usw.
- Management Infrastruktur: Teamgrößen; Organissationsstruktur; Kontakt, Feedback zwischen Führungskräften und Mitarbeitern ( Einrichtung eines Leistungsdialogs oder Teamdialogs); usw.
- Einstellungen und Fähigkeiten: Motivation und individuelle Fähigkeiten der Mitarbeiter, Management von Mitarbeitervorschlägen und –ideen (Einrichtung eines Ideenbretts), Verhalten der Mitarbeiter, psychologische Aspekte im Verhältnis der Mitarbeiter und Führungskräfte untereinander (Betriebsklima)
Ein typisches Transformationsprojekt zur Einführung der Lean-Philosophie in einem Unternehmen oder einem bestimmten Teil des Unternehmens, gliedert sich in mehrere Phasen. Oftmals hat das Unternehmen externe Lean-Berater (Lean consultants) engagiert, die zusammen mit einem ausgewählten Projektteam aus Mitarbeitern und Führungskräften die einzelnen Phasen in einem vorher bestimmten Zeitraum (z. B. 4 Monate) durcharbeitet und dafür einen nicht unwesentlichen Teil der Arbeitszeit einsetzt. Während des Transformationsprojektes und nach Abschluss der letzten Phase, sollen die Mitglieder des Projektteams Lean-Wissen verinnerlichen/verinnerlicht haben und an ihre Kollegen im Betrieb weitergeben. Für die erfolgreiche Einführung der Lean-Philosophie sind Nachhaltigkeit der während der Projektphase getroffenen Maßnahmen sowie die Akzeptanz dieser Maßnahmen durch den größten Teil der Mitarbeiter essentiell. Es soll der Anschein erweckt werden, dass die Lean-Philosophie von unten, d. h. von den einfachen Mitarbeitern gewollt und eingeführt wird. Wenn die Mitarbeiter den Eindruck haben, dass Lean wieder einmal nur ein Projekt von oben, vom Management ist, wird es sich nicht nachhaltig im Unternehmen verankern können.
Die verschiedenen Phasen eines Transformationsprojekt gliedern sich meist wie folgt:
1. Phase – Vorbereitungsphase
In dieser Phase wird die Einführung von Lean und die einzelnen Schritte geplant und vorbereitet. Zielvorstellungen werden festgelegt, das Projektteam zusammengestellt.
2. Phase – Diagnosephase
Nun wird mit Hilfe verschiedener betriebswissenschaftlicher und ingenieurwissenschaftlicher Diagnosemethoden Prozesse, Arbeitsabläufe und Zustände analysiert. Dabei sollen Schwächen, Probleme, also Ineffizienzen aufgedeckt und in Zahlen und Diagrammen festgehalten werden. Gleichzetig sollen Möglichkeiten und Lösungsansatze offenbar werden. Entsprechende Methoden und Werkzeuge sind zum Beispiel: Ursache-Wirkungs-Diagramm, Prozessanalyse, 5xWarum-Methode, Paretodiagramm, Schichtbeobachtung, Interviews (von Mitarbeitern), Spaghetti Analyse, Mitarbeiterumfrage, Ermittlung des ECI (Employee Commitment Index = Index der Mitarbeiter Motivation), 5S-Audit usw.
3. Phase – Gestaltungsphase
In dieser Phase werden mögliche Lösungsansätze und Maßnahmen zur Beseitigung der in der Diagnosephase entdeckten Probleme und Schwächen durch das Projektteam erarbeitet. Dabei präsentieren die Lean-Berater mögliche Wekzeuge und Methoden zur Lösung der entdeckten Probleme.
4. Phase – Planungsphase
Die Umsetzung der erarbeiteten Maßnahmen wird geplant, die dafür verantwortlichen Mitarbeiter werden ausgewählt.
5. Phase – Umsetzungsphase
Die erarbeiteten Maßnahmen aus der Gestaltungsphase, werden nun kontrolliert unter Einbeziehung der Mitarbeiter und wie zuvor geplant, umgesetzt.
6. Phase – Stabilisierungsphase
Die nun umgesetzten Maßnahmen sollen dauerhaft (nachhaltig) im Unternehmen verankert werden. Dazu müssen alle Projektteilnehmer und ein Großteil der Mitarbeiter von diesen Maßnahmen überzeugt sein. Die Lean-Berater zeigen den Mitgliedern des Projektteams und ggf. neu ins Team gekommene Mitarbeitern Wege und Methoden, die erarbeiteten Maßnahmen und „Errungenschaften“ im Rahmen der kontinuierlichen Verbesserung nachhaltig zu sichern. Da dies die letzte Phase ist, haben die Lean-Berater ihre Aufgabe erledigt und erscheinen in der Regel zukünftig, um die Nachhaltigkeit ihres Transformationsprojekts zu überprüfen.
(Positives) Beispiel einer Lean-Maßnahme
In einem Betrieb X hat das Projektteam zur Einführung von Lean in der Diagnosephase mit Hilfe einer Mitarbeiterbefragung u. a. festgestellt, dass sich viele Mitarbeiter wünschen würden, eigene Verbesserungsvorschläge im Betrieb einfach und schnell vorschlagen zu können. Bisher gab es keine oder nur unzureichende Möglichkeiten, Verbesserungsideen im Unternehmen einzubringen.
In der Gestaltungsphase entwickelt das Projektteam unter Aufsicht der Lean-Berater nun ein Konzept, um das Einbringen von Verbesserungsvorschlägen einfach und effizient zu gestalten. Man beschließt, ein Ideenbrett zu erstellen, das zentral aufgehängt werden soll und an dem jeder Mitarbeiter seinen Verbesserungsvorschlag anbringen kann. Damit eingebrachte Ideen nicht im Sande verlaufen, wird eine Person gewählt, die persönlich dafür zuständig ist, Verbesserungsvorschläge nach Nutzen und Aufwand zu bewerten, ggf. eine Umsetzung der Ideen unter Einbindung des Ideengebers voranzutreiben oder Vorschläge unter Angabe von Gründen abzulehnen.
In der Umsetzungsphase wird dieses Ideenbrett im Unternehmen nun Realität und gute Vorschläge werden auch zeitnah umgesetzt. Die Mitarbeiter fühlen sich ernstgenommen und ihre innere Bindung an das Unternehmen steigt.
In der Stabilisierungsphase wird sichergestellt, dass der oder die Verantwortlichen für dieses Ideenbrett weiter am Ball bleiben und beispielsweise bei Ausscheiden aus dem Betrieb, ein geeigneter Nachfolger gefunden wird.
Zwei Seiten einer Medaille
Die Lean-Philosophie kann durchaus eine Reihe von Verbesserungen in das Unternehmen bringen, sofern diese richtig und konsequent umgesetzt wurden. Zahlreiche Maßnahmen beschleunigen Arbeitsabläufe, verringern von Laufwegen und Wartezeiten, erleichtern die Tätigkeit eines Mitarbeiters und verbessern das Verhältnis zwischen Mitarbeitern und Führungskräften. Auch erscheinen viele Maßnahmen der Effizienzsteigerung logisch und nachvollziehbar. Typische erste Reaktionen und Meinungen sind, dass Lean ja eigentlich nur die Befolgung des „gesunden Menschenverstands“ sei. Wenn jemand in ein Geschäft will, läuft er schließlich auch direkt durch die Tür hinein und läuft nicht erst einmal um das Gebäude, um dann hineinzugehen.
Zweifelsfrei hat eine richtig eingeführte Lean-Philosophie durchaus sinnvolle, unmittelbare Folgen für alle Beteiligten. Effizienteres, verschwendungsfreies Arbeiten erscheint auch vielen Mitarbeitern zunächst als gut und angenehm, unnötige Wartezeiten und Laufwege fallen beispielsweise weg, man hat das Gefühl weniger „schwachsinnige Tätigkeiten“ zu machen. Das Management freut sich ohnehin, denn eine Effizienzsteigerung bedeutet auch, dass mit der gleichen Zahl an Arbeitern noch mehr geleistet werden kann, was wiederum Profitsteigerung bzw. Kostensenkung bedeutet.
Und genau da liegt der Hund begraben und genaus das wird man auch nie aus dem Munde eines Managers oder Lean-Beraters erfahren: Eine Effizienzsteigerung (durch Lean) bedeutet auch, dass mit weniger Personal die gleiche Arbeit verrichtet werden kann. Im Laufe eines Transformationsprojektes, kann durchaus festgestellt werden, dass der ein oder andere Arbeitsplatz und damit der Mitarbeiter überflüssig sind, da ihre Aufgaben bei effizienter Steuerung auch von anderen Kollegen übernommen werden kann. Da Personalkosten in Deutschland für den Arbeitgeber die höchsten Ausgaben darstellen und viele Arbeitgeber ihre eigenen Mitarbeiter nur als Kostenfaktor sehen, stehen die durch Lean enttarnten unnötigen Arbeitsplätze nun auf der Abschussliste. Die Mitarbeiter, die diese Arbeitsplätze besetzen, werden nun nach Möglichkeit für andere Aufgaben umgeschult, bei älteren Mitarbeitern, die in Altersteilzeit gehen oder ohnehin bald ganz in Rente gehen, werden diese nicht neu besetzt. Wenn keine der beiden zuvor genannten Maßnahmen auf den Mitarbeiter eines überflüssigen Arbeitsplatzes angewandt werden können, wird das Management – nach streng betriebswirtschaftlicher Norm – andere Wege finden, um die Stelle samt Mitarbeiter loszuwerden. In wirtschaftlich schlechten Jahren, von denen in großen Unternehmen übrigens selten die Aktionäre, sondern vorwiegend die Mitarbeiter betroffen sind, werden „betriebsbedingte Kündigungen“ ausgesprochen. Daraus kann man auch schließen, dass bei Vorhandensein eines Grundes für „betriebsbedingte Kündigungen“ durch die Effizienzsteigerun mit Lean mehr Personal entlassen werden kann, als ohne Lean. Auch zu wirtschaftlich guten Zeiten, können solche überflüssigen Arbeitsplätze beseitigt werden, zum Beispiel dann, wenn das Unternehmen einen Neubau plant. Dann wird gerade im produzierenden Gewerbe ohnehin viel mehr automatisiert und der Neubau wird so geplant, dass für die als überflüssig deklarierten Arbeitsplätze kein Platz da sein wird und somit auch „betriebsbedingt“ gekündigt werden kann.
Es findet in jedem Fall eine Veringerung von Arbeitsplätzen statt. In der Sprache der Lean-Berater und des Managements heißt das heutzutage natürlich nicht mehr Stellenabbau, sondern Einsparung von „Berufsjahren“, abgekürzt „Bj“.
Nichts als Arbeit
Dies ist die unangenehme Folge der Lean-Philosophie, die den Mitarbeitern natürlich vorenthalten wird. Meistens merken sie es auch nicht, denn Lean-Berater und Management wickeln die Mitarbeiter mit der Masche um den Finger, dass sie (die Mitarbeiter) alle Maßnahmen selbst in der Hand haben und sie den Eindruck bekommen, dass das Ganze ihr Schaffen und ihr Werk ist. Ein netter psychologischer Trick, der verschleiert, dass Lean natürlich vom Management mit dem Wissen um all seine negativen Folgen für den Bestand der Arbeitsplätze eingeführt wird. Die Mitarbeiter sollen denken, Lean käme von ihnen, „von unten“, merken aber nicht, dass sie ihr eigenes Grab schaufeln bzw. das Grab eines Kollegen. Wenn es doch jemand bemerken sollte, wird ihm in diesem Hamsterrad schnell bewusst (gemacht), dass die Option zu Lean aus Sicht des Managements eine Verlagerung der Arbeitsplätze in Billiglohnländer ist.
Diejenigen, deren Arbeitsplätze als nicht überflüssig befunden wurden, sehen sich in einem „geleantem“ Unternehmen einerseits den bereits genannten aber auch nur vermeintlichen Verbesserungen gegenüber und andererseits möglichen unangenehmen psychologischen Langzeitfolgen dieser „Verbesserungen“. Zu Spitzenzeiten wird manch einer die unbeabsichtigten Verschnaufpausen in Form der unnötigen und durch Lean beseitigten Wartezeiten sicher vermissen. Auch sollte man sich fragen, wie gesund (in geistiger und körperlicher Hinsicht) eine aus Profitgründen auf Effizienz und Leistung getrimmte Mitarbeiterschaft ist. Ein Mensch braucht Arbeit zum Leben, aber auch Ruhe und Muße zum Leben.
Letztlich ist die Lean-Philosophie ein Auswuchs des betriebswirtschaftlichen Wahnsinns unserer Zeit, immer mehr, immer günstiger und ohne Gedanken an mögliche Wachstumsgrenzen zu produzieren und zu leisten. Dieser Wahn nimmt keine Rücksicht auf lebendige Wesen, denn in Form von Arbeitskraft sind sie ohnehin nur ein Kostenfaktor, den es beständig zu verkleinern und bis aufs Äußerste auszupressen gilt. Den Menschen auf 100%ige Effizienz zu steigern, gleich einer Maschine, die am besten nur noch lebt, um zu arbeiten, ist das versteckte Ziel von Lean und eines auf Effizienz und Leistung getrimmten Systems. Lean ist ein Kind unserer Zeit und eines gesellschaftlichen Systems, das es geschickter als je zuvor versteht, den Menschen zum Sklaven nicht nur der Arbeit, sondern letzlich seiner selbst zu machen.
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