Donnerstag, 11. August 2011
Hintergründe der Unruhen in England
Zwar wurde in einigen Pressemitteilungen schon mal darüber gesprochen, dass die Gründe für die aktuellen Unruhen in englischen Städten nicht einfach (nur) in krimineller oder „asozialer“ Energie der „Aufständischen“ zu suchen ist, doch kriegt man oft den Eindruck, dass diese „Aufständischen“ einfach als Randalierer ohne Motive abgestempelt werden, die eigentlich gar keinen Grund dazu haben.

Doch so einfach ist das leider nicht. Medieninformationen kann man glücklicherweise dann doch entnehmen, dass es sich bei diesen „Aufständischen“ meist um junge Menschen aus sozial schwachen Gegenden handelt. Dies alleine müsste eigentlich schon alles erklären.

Der Spiegel schreibt in einem Beitrag völlig treffend über den „Zorn der Abgehängten“. Es geht hier nicht um gelangweilte, „asoziale“ Jugendliche. Zwar mögen auch unter ihnen Menschen mit hoher krimineller Energie sein, doch selbst dann muss man sich fragen was sie wirklich auf die Straßen treibt.


Ungerechtigkeit erzeugt Gewalt

Diese jungen Menschen, nenne ich „Aufständische“, da sie tatsächlich gegen ein System aufstehen, dass sie benachteiligt, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht und sie sich selbst gar nicht als solche wahrnehmen.
Keiner von ihnen wurde als Krimineller, „Asozialer“, Randalierer oder Aufständischer geboren, sondern die äußeren Umstände haben sie dazu gemacht.
Sie werden geboren in eine sozial schwache Umgebung, in der finanzielle Ressourcen begrenzt sind und sie nicht dieselben Möglichkeiten haben wie Menschen aus höher gestellten sozialen Schichten. Es sind Menschen, die schon aufwachsen mit den Problemen ihrer Eltern. Während Fernsehen und Medien ein Luxusleben propagieren, wo jeder Markenklamotten trägt, alle ein tolles Smartphone haben und einen Flatscreen sowieso, müssen sie einsehen, dass sie sich das nicht leisten können, auch wenn es die Werbung so suggeriert.
Gut dann sollte man meinen, dass sie durch Bildung und Ausbildung den sozialen und damit finanziellen Aufstieg erlangen können. Leider gelingt das nur einer Minderheit. Denn, wie auch zahlreiche Statistiken bestätigen, die Höhe der (Aus)bildung ist meistens auch eine Frage des sozialen und finanziellen Hintergrundes.

Man hat eine Generation von schlechtausgebildeten, jungen Menschen, denen die Medien täglich eine unerreichbare Lebensweise vor die Nase hält. Gleichzeitig werden sie häufiger durch die Polizei kontrolliert, als andere, weil sie oftmals eine dunkle Hautfarbe haben – Immigranten zählen besonders zu diesen „Abgehängten“ – oder sie im falschen Viertel zur falschen Uhrzeit herumlaufen. Sie wollen einen Job, aber kommen nicht weit, denn für Geringqualifizierte gibt es immer weniger zu tun. Wenn sie doch etwas bekommen, sind sie dennoch weit entfernt von den Schlagwörtern „mein Haus, mein Auto, geschweige denn mein Boot“.
Diese Aufzählung könnte man jetzt noch weiterführen, aber ich denke, dass klar ist, dass der Hintergrund der Aufstände in Großbritannien in der sozialen und finanziellen Ungleichheit der britischen Gesellschaft zu suchen ist.
Die Nicht-„Elite“ rebelliert gegen die „Elite“, die im Überfluss ertrinkt. Die Abgehängten sind frustriert und fühlen sich ungerecht behandelt, da es ist es doch ganz klar, dass die Situation irgendwann eskaliert. Scheinbar geht es auch gar nicht anders, denn „die da oben“ geben freiwillig nichts von ihrem Kuchen ab.

Genau das habe ich letzte Woche gemeint, als ich über die „Elitisierung“ Deutschlands geschrieben habe, nun kann man die Folgen einer solchen „Elitisierung“ in England sehen.


Deutschland ist sehr wohl England

Es ist sehr naiv zu glauben, dass solche Aufstände wie derzeit in England, nicht auch in Deutschland möglich wären. Natürlich sind sie möglich, sie sind sogar unvermeidlich.
In Deutschland gibt es auch eine soziale Schicht, meist mit niedrigem oder gar keinem Schulabschluss, die sich abgehängt fühlt, die nicht all die tollen Sachen haben kann, die in den Medien gepriesen werden.
Die sind doch nicht dumm!!! Trotz versuchter Ablenkung durch Bundesliga und Schrott-TV, kriegen die mit, dass Banker, die ihren Karren tief in die Scheiße gefahren haben, dafür auch noch mit Steuergeldern wieder gerettet werden.

Die denken sich doch: „Klasse, ich sitze hier und fühle mich Scheiße, kriege keinen Job, weil ich es in der Schule versaut habe, meine Lehrer aber auch überfordert waren, weil der Staat zu wenig Geld für Bildung ausgibt, und die Penner da oben, die so genannte „Elite“, die Akademiker, die dürfen machen was sie wollen und bekommen dafür auch noch Geld geschenkt.“.

Natürlich fühlen sie sich zurecht ungerecht behandelt, wer würde das nicht tun. Sie mögen eine Zeit lang still schweigen, aber nicht ewig.

Wenn die Preise für bestimmte Lebensmittel und Konsumgüter steigen, gleichzeitig staatliche Hilfe gekürzt wird und sie immer noch keinen oder keinen vernünftigen Job (wer will schon als Sklave für eine Zeitarbeitsfirma arbeiten) bekommen, dann wird dieses Gefühl ungerecht behandelt zu werden in Gewalt umschlagen – und dann ist es auch schon zu spät.
Ich zweifle nicht daran, dass sie die wirtschaftliche Lage auch in Deutschland verschlechtern wird und gleichzeitig bei sozialen Ausgaben und bei der Bildung sowieso gespart werden wird. Abgesehen davon ist unser System, das auf dem endlosen Konsum von endlichen Ressourcen basiert, dem Ende nahe.
Brot und Spiele werden für alle, außer für die „Elite“ „da oben“ weniger werden oder ein Ende haben. Kein neues Handy jedes Jahr, kein Urlaub mehr auf Malle, vielleicht wird Zukunft auch Fleisch ein sonntäglicher Luxus sein. Kein glücklich machender Konsum mehr.
Hinzu kommt, dass in Zuge von technischen Errungenschaften immer mehr Arbeitsplätze von Maschinen eingenommen werden oder die Arbeitsplätze in Billiglohnländer ausgelagert werden. Die Masse der Unzufriedenen wird steigen.


Lieber Profite statt Veränderung

Man und damit ist insbesondere die so genannte politische und wirtschaftliche „Elite“ gmeint, könnte entgegensteuern, indem sie auf einen Teil ihrer materiellen und finanziellen Ressourcen zu Gunsten der Schlechtergestellen verzichtet. Nicht die Banken brauchen Geld und Rettung vom Staat, sondern unser Bildungs- und Sozialsystem. Insbesondere ein effizientes Bildungssystem, dass sich um jeden so früh wie möglich kümmert und jedem auch eine Chance gibt, ist ein Garant für eine stabile Gemeinschaft. Doch sind auch in Deutschland bereits so viele „Abgehängte“ produziert worden, dass man nicht mehr verhindern, sondern nur noch abmildern kann.

Fraglich ist, ob diese „Eliten“ langfristig genug denken können, um für den sozialen Frieden Opfer zu bringen. Ich befürchte eher, dass sie ihren Hals nicht voll genug von Profiten kriegen können und ihnen kein Verzicht abgerungen werden kann. Wenn es zu spät ist, werden sie das möglicherweise bereuen.

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