Freitag, 11. Februar 2011
Tunesien, Ägypten, und dann?
Nach Mubaraks gestriger Rede, die ich über Al Jazeera verfolgt habe, hatte ich eher damit gerechnet, dass sich der Despot noch längere Zeit versuchen wird an der Macht zu halten als diesen einen Tag.


Militär übernimmt die Macht

Heute ist es aber passiert, Mubarak ist zurückgetreten und das ägyptische Militär übernimmt nach eigenen Angaben "vorübergehend" die Macht, um bis zu den angekündigten Wahlen Ordnung zu schaffen, bzw. aufrecht zu erhalten.
Die ägyptischen Streitkräfte genießen laut Medienberichten zwar ein sehr hohes Ansehen unter der Bevölkerung, aber das heißt noch lange nicht, dass bei dieser Revolution nicht etwas herauskommt als die ägyptische Bevölkerung und auch der Westen erwarten. Dies wird sich mit der Zeit zeigen.


Historische Chance

Diese Phrase, "historische Chance" ist derzeit wieder in aller Munde. Westliche Politiker benutzen sie und meinen damit, dass Ägypten einen demokratischen Weg einschlagen sollte, wie es die europäischen/westlichen Staaten gemacht haben.
Das klingt zunächst gut und ist wahrscheinlich auch besser als ein despotisches Mubarak-Regime, doch bedeutet es eben auch, dass ein System etabliert wird, in der derjenige die Politik maßgeblich bestimmt, der am meisten zahlt.
Dies heißt, dass eine scheinbare (repräsentative) "Demokratie" wie in Deutschland, nur auf dem ersten Blick eine wahre "Herrschaft des Volkes" ist und Bedürfnisse der Allgemeinheit im Vordergrund stehen. In Wahrheit werden leider viele politische Entscheidungen getroffen von denen nur einige Wenige profitieren, wie z. B. bestimmte Wirtschaftskreise, die sich gerne auch mit der Bezeichnung "Elite" schmückt. Man kann nur hoffen, dass Ägypten, aber auch Tunesien und alle die anderen arabischen Länder, die sicher noch folgen werden, es besser machen als wir. Sonst würde auch diese "Historische Chance" eine ungenutzte Chance bleiben.
Mehr zu der oben genannten Thematik siehe u. a. hier, hier, hier und hier.


Bedeutung für den Westen

Welche Bedeutung diese Revolutionen in Tunesien und Ägypten (und in den noch folgenden arabischen Ländern, da bin ich mir sicher) für uns, Europa, also "den Westen" haben, damit kann man ein ganzes Buch füllen.
Erwähnt sei, dass die Lebensbedingungen in Nordafrika, im Grunde in ganz Afrika und den Weltteilen, denen es schlechter geht als uns natürlich eine Bedeutung für uns haben, angefangen von wirtschaftlichen Ressourcen, die wir oftmals unter unfairen Bedingungen aus diesen Ländern beziehen, bis hin zu der Menge der Flüchtlinge, die zu uns nach Europa wollen, weil sie daheim keine Chance haben, nicht zuletzt durch unser Wirken.
Weiterhin besteht die Gefahr, dass ein Mubarak durch den Nächsten ersetzt wird. Unruhe in dieser Region kann auch für uns ernste Konsequenzen haben. Da könnte mehr, als nur der geplante Ägypten-Urlaub ins Wasser fallen, wobei die bisherigen Umstände in Tunesien und Ägypten offenbar auch keinen Urlauber interessiert haben.

Im Falle Ägyptens muss man daran denken, dass eine nicht unbedeutende Menge von Konsumgütern und Rohstoffen, "including" Erdöl, durch den Suez-Kanal, der unter ägyptischer Kontrolle steht, geschifft wird.
Wenn diese Verkehrsader gestört, blockiert oder einfach nur die "Durchfahrgebühr" erhöht wird, wird unsere Versorgung zwar nicht eingestellt, aber sie wird beeinträchtigt und damit verteuert. Wer weiß, ob dann nicht mal 1,60 Euro je Liter Benzin möglich sind.


Dominoeffekt

Interessant wird sein, ob sich die Beispiele Tunesiens und Ägyptens in der (arabischen) Welt durchsetzen werden. Ich gehe zur Zeit davon aus, dass es auch in anderen arabischen Ländern zu einem Regimewechsel innerhalb dieses oder des nächsten Jahres kommen wird. Vielleicht geht es auch schneller in einer Art Dominoeffekt - anders ausgedrückt: Die Flamme der Revolution brennt auch nicht ewig in den Herzen der Menschen, wenn die Bedingungen stimmen können und müssen andere Länder folgen, denn wenn man zu lange wartet, verliert diese Flamme an Kraft.

Dieser Beispieleffekt kann sich auch auf andere Länder, nicht nur die arabischen, erstrecken, was natürlich ungeahnte Konsequenzen haben kann, wenn ich an bestimmte Länder des Kaukasus denke (und nicht nur die). Despoten dieser Welt, seht Euch vor!

Vielleicht kommt es sogar so weit, dass wir, der scheinbare überlegene Westen, der bisher aus einer selbst angenommenen zivilisatorisch Superiorität auf diese Länder geblickt hat, von den Ergebnissen dieser Revolutionen lernt, sofern natürlich die "historische Chance" auch genutzt wird. Vielleicht werden wir von Tunesien und Ägypten lernen die notwendige Distanz zwischen Politik und einzelnen Mächtigen oder Reichen, in anderen Worten der Wirtschaft, einzuhalten. Natürlich nur, wenn diese Länder die Gunst der Stunde nutzen und sich nicht in das kapitalistische Hamsterrad des Westens einlullen lassen.

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